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Sabine Kuegler

Dschungelkind

Knaur.

ISBN: 978-3-426-77873-9

Read: 2007

Als dieses Buch herauskam, gab es dazu einen ziemlichen Bestseller-Hype, so dass ich es zunächst links liegengelassen habe, aber das Thema hat mich interessiert und deswegen habe ich es ein paar Jahre später doch gelesen. Irenäus Eibl-Eibesfeld hat ungefähr zur gleichen Zeit, zu der dieses Buch spielt, ebenfalls bei Naturvölkern in Westpapua (damals Irian Jaya genannt) gelebt und darüber wissenschaftliche Bücher geschrieben, so dass ich gespannt war wie zum Vergleich ein eher persönlicher Bericht aussieht. Allerdings waren die Völker, die Eibl-Eibesfeld besucht hat, Ackerbauern, während das Volk, bei dem Sabine Kuegler ihre Kindheit verbracht hat, Jäger und Sammler sind.

Sie beschreibt in diesem Buch ihre Kindheit beim Volk der Fayu, die im Dschungel im Inneren von Westpapua leben. Glücklicherweise darf man diesen Teil Indonesiens nur mit behördlicher Erlaubnis ("surat jalan") betreten, denn sonst hätte dieses Gebiet nach der Veröffentlichung des Buchs sicher einen Ansturm von Touristen aus Deutschland erlebt. Diese Regelung schützt die Einheimischen ebenso wie die Touristen, denn wer Eibl-Eibesfeld gelesen hat weiß, dass im Inneren von West-Papua noch einige unbekannte oder unerforschte kriegerische Völker wohnen, und dass auch Kannibalismus noch praktiziert wird.

Sabine Kügler ist während eines mehrjährigen Einsatzes ihrer Eltern in Nepal geboren worden und später, als dieser Einsatz zuende war, haben ihre Eltern die Aufgabe übernommen, die Sprache der zu der Zeit neu entdeckten Fayu in Westpapua zu erforschen. Sie beschreibt, wie ihre Familie dorthin übergesiedelt ist und dort über Jahre gelebt hat. Das Buch ist kein wissenschaftliches Buch, sondern ein persönliches über Kulturschock und Identitätsfindung.

Verglichen mit (Auto-)Biographien aus dem englischen Sprachraum, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, fällt mir als erstes auf, dass die Autorin bestimmt keine Kurse in "creative writing" besucht hat. Das schadet dem Inhalt aber nicht, und eigentlich wirkt es so viel authentischer. Als zweites fällt mir auf, dass die Beschreibung vor allem am Anfang etwas pathetisch wirkt und eine deutliche Leidensmiene durchkommt. Das können die englischen Autoren besser: Jon Swain etwa (der ist aber auch Profi-Autor) oder Loung Ung können durch eher sachliche Berichterstattung letztlich mehr Emotionen beim Leser hervorrufen.

Positiv fällt allerdings dann auf, dass sie eine ganze Menge Themen offen und ehrlich (und selbstkritisch) anspricht, über die die englischen Autoren wiederum eher oberflächlich hinweggehen würden ... z.B. weiß der Leser am Ende über die Umstände, unter denen die erste Hälfte ihrer nicht unbeträchtlichen Kinderschar entstanden ist, genauestens Bescheid.

Ihre Darstellung der Fayu ist irgendwo ein Zwischending zwischen Rousseaus edlem Wilden und Kiplings Last des Weißen Mannes (und der Weißen Frau). So beschreibt sie z.B. dass die Fayu sich selbst (vermutlich) ohne Eingreifen der "Zivilisation" mit ihren ständigen Kriegen und Blutfehden an den Rand des Aussterbens manövriert haben, und dass ihre Kultur als Volk kurz vor dem Ende war, als die Missionare kamen (sie gibt ein paar einleuchtende Beispiele). Die Kriege und Blutfehden hat es nämlich nicht immer gegeben, sondern sie sind durch einen Kreislauf von Haß und Angst erst in jüngerer Zeit entstanden, durch eine Eskalation der Gewalt, aus der die Fayu nicht mehr herauskamen. Als Außenstehender waren die Kueglers die ersten, die in all diesen Konflikten glaubhaft neutral waren und die damit als Katalysator für einen langsamen Friedensprozess gewirkt haben.

Aber der eigentliche Kernpunkt ist der Kulturschock und ihre eigene zerrissene Identität, als sie mit siebzehn nach Europa zurückkehrt, um an einem Internat ihre Schulbildung abzuschließen. (In Indonesien wurden die Kinder von ihrer Mutter anhand amerikanischer Fernschulunterlagen unterrichtet; hier haben die Amerikaner sich mal etwas nützliches einfallen lassen.) So beschreibt sie ihre erste Zugreise (Bilder von Zügen gab es in ihren Büchern schon, aber die hatten alle Dampflokomotiven), oder wie sie in der Schweiz noch monatelang ihre Schuhe vor dem Anziehen ausschüttelt. Sie lernt, dass man im Supermarkt nicht feilscht, und dass man für Ehebruch nicht mit dem Tode bestraft wird. Und gerät in eine Identitätskrise, aus der sie erst nach Jahren hinauskommt.

Ein sehr interessantes Buch, das etwas aufzeigt über die Umstände, unter denen die letzten Naturvölker der Erde leben.


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