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(c) 1992 Oliver Bonten

Abschied

"I follow the Moskva, down to Gorki Park, listening to the winds of change." - Scorpions: "Winds of change"

Basiliuskathedrale, roter Platz

Donnerstag abend wollten wir uns wieder auf den Heimweg machen, und daher haben wir am Vormittag die Autos durchgecheckt, festgestellt, daß der Reifendruck zu niedrig war, festgestellt, daß wir keine Möglichkeit hatten, das zu ändern, Öl in 16 nachgegossen und getankt. Das Tanken erwies sich als ein Problem. Jegor kannte in Moskau nur Tankstellen, bei denen man gegen Bons tanken kann. Bons kosten für uns etwa 1,01 DM pro Liter. Jegor hat von einem LKW-Fahrer Gutscheine für 15 Rubel pro Liter bekommen (für die der LKW-Fahrer selber 6 Rubel bezahlt hat). Damit sind wir zu einer Tankstelle in Moskau gefahren, die etwas abseits der Straßen liegt, erreichbar über einen üblen Schlammpfad. Das Problem ist, daß mit diesen Gutscheinen nur bestimmte Autos tanken dürfen, solche mit Moskauer Kennzeichen und gewisse staatliche LKW. Alle anderen müssen teurere Gutscheine kaufen. Jegor hoffte, den Tankwart zu überreden, seine Gutscheine zu akzeptieren. Zunächst wurden wir aber von den Zapfsäulen weggescheucht. Nachdem der Tankwart mit einem zusätzlichen Hundertrubelschein bestochen wurde, konnten wir doch noch tanken. Ein weiteres Problem waren die Reservekanister. Das Betanken von Reservekanistern mit Benzin auf billige Gutscheine ist strikt untersagt - damit könnte zu leicht Mißbrauch getrieben werden. Ein hilfsbereiter Traktorfahrer betankte uns dann aus seinem Tank. Während des Tankvorgangs brachte der Pumpenmotor die Zapfsäule arg ins Wanken: das Mittelteil und die beiden Außenteile mit den Glasfenstern schepperten ziemlich gegeneinander und ich befürchtete die ganze Zeit, die Säule fiele auseinander. Tat diese nicht, aber die benachbarte Zapfsäule zerlegte sich dafür in ihre Einzelteile, d.h., die Abdeckung mit dem Fenster ging klirrend zu Boden.

Mit den vorbereiteten und gepackten Fahrzeugen fuhren wir dann zum Parkplatz hinter der Basiliuskathedrale, um ein paar offizielle Fotos zu machen. Jegor war unterdessen unterwegs, um eine neue Batterie für sein Auto zu besorgen, was ihm aber nicht gelang. Nach der Fotosession hatten einige von uns im GUM noch etwas zu besorgen, und ich glaubte, ich auch, denn ich wollte mir noch eine dritte Flasche Wodka besorgen, um Alexanders Kontingent (1 Liter/Person bei der Einreise nach Deutschland) nicht ungenutzt verfallen zu lassen, aber im GUM gibt es keinen Wodka. Dabei hat mein Lateinlehrer in der Schule mal erzählt, daß er dort Wodka in Mengen gekauft habe, aber das ist auch schon mehr als zehn Jahre her. (Im nachhinein frage ich mich allerdings, was Latein mit Wodka zu tun hat.)

Schiffswrack in der Moskwa
Gorkij-Park,
	Eingang

Danach war schon Nachmittag. Andrej, Erik und ich begaben uns zum Gorkij-Park, der jetzt nur noch "Kultur- und Erholungspark" heißt. Lars und Christian beabsichtigten, sich ein Museum ... wie hieß es noch gleich ... mit Bildern anzusehen, ein Kunstmuseum also, und Alexander und Natascha wollten sich irgendetwas anderes ansehen. Auf meinen Wunsch hin gingen wir zu Fuß zum Gorkij-Park. Es gibt im Stadtzentrum einen kurzen Moskwa-Seitenkanal, so daß auf Höhe des roten Platzes eine Insel im Fluß liegt. Wir mußten die Moskwa und den Kanal überqueren und dann dem Kanal- bzw. Moskwaufer zum Gorkij-Park folgen. Der Flußarm, gegenüber dem roten Platz, scheint dabei die Schokoladenseite des Flusses zu sein, mit begrünten Uferbefestigungen und einigermaßen gutaussehenden Gebäuden auf der dem Kreml gegenüberliegenden Seite. Der Kanal ist die Arbeits-Seite. Schon auf der künstlichen Insel sieht man halb verfallene Fabrikgebäude, offenliegende Rohrleitungen etc., und die Uferbefestigungen sind nicht verziert und alt und verrottet. An mehreren Stellen ist die Befestigung eingebrochen: es ist ein Loch im Fußweg, durch das man geradewegs in den Kanal fallen kann. Auf dieser Seite sollte man also nicht entlang gehen, wenn man einen Wodka zuviel genossen hat. Ein verfallendes Schiffswrack blockiert den halben Kanal - noch vor zwei Jahren sei das ein schwimmendes Restaurant gewesen, sagt Andrej. Nachdem der Kanal wieder in den Fluß mündete, verbesserte sich das Bild. Am Ufer begannen jetzt Grünanlagen, die offenbar inzwischen als Tummelplatz für Liebespaare aller Art dienen.

Gorkij-Park

Der Gorkij-Park kostet etwa 50 Kopeken eintritt - Erik war aber am Mittwoch schon mal da, als das Wetter schlecht war, und da war der Eintritt frei. Vor dem Park gab es an einem Stand echte Pepsi für 5 Rubel pro Becher. Und Pappbecher; für russische Getränkeautomaten ist normal, daß ein Glas daran angekettet ist, das man unter den Hahn stellt, bevor man eine Münze einwirft. Das ist zwar vorbildlich umweltfreundlich, aber sicher nicht hygienisch. Der Park selber ist ein riesiges Gelände mit Grünanlagen, vielen Kinder- und anderen Karussels (z.B. einem Riesenrad), einem Platz für Rollschuhfahrer, einem Teich mit Ruder- und Tretbooten, Enten und sogar schwarzen Schwänen, und einigen anderen Angeboten. Für die Stadtbevölkerung sicher eine erstklassige Naherholungsmöglichkeit, wenn sich die Preise in Zukunft so halten können. An einer Bude im Park habe ich meine dritte Flasche Wodka bekommen. Aus Lautsprechern wurde "Europa Radio" übertragen, ein staatlicher Sender mit einem Programm für jüngere Zuhörer, vornemlich lief Pop und Rock. "Winds of change" von den Scorpions sei in Rußland sehr populär gewesen, sagt Andrej. Ich frage mich, was da früher für ein Sender lief. Es ist in Moskau übrigens normal, daß in Parks Radio übertragen wird; im Park beim Scheremetjew-Haus war es ein Kultur- oder Politiksender. Im Park hat uns Andrej erklärt, was er einmal für eine Frau heiraten wird: eine die weder raucht noch trinkt, denn das ist schlecht für die Kinder. (Andrej raucht und trinkt.) Zwei Mädchen die vorbeikamen bot er dann Zigaretten an, jede nahm sich eine, und Andrej meinte zu uns: "See? I no marry this girl!". Ausserdem drohte er an, seine (zukünftigen) Söhne auszupeitschen, sollte er entdecken, daß sie rauchen. (Wodka trinken müssen sie als richtige Männer natürlich.) Er hat uns auch von seinem Hund erzählt, und seitdem weiß ich, daß "Wauwauwau" auf russisch "Gafgafgaf" heißt.

Auf dem Rückweg hat uns Andrej zu erklären versucht, daß der Putsch im Sommer von Gorbi und Jelzin inszeniert gewesen sei. Weil sein Englisch sehr lückenhaft war, war das reichlich kompliziert. Außerdem erklärte er uns, daß der Präsident des russischen Parlamentes ein Lakai des Moskauer Mafiabosses sei. Aus dritter Hand weiß ich, daß Jegor ähnliche Ansichten hat, aber andere Russen, Natascha zum Beispiel, sind da anderer Ansicht.

Wir haben versucht, noch Wodka für Erik und Lars zu bekommen, aber wir waren in Eile und daher haben wir eine Flasche zu wenig bekommen. Die Straßenverkäufer haben wohl keine so großen Vorräte. Außerdem haben wir uns noch ein Eis genehmigt - das kostet 15 Rubel und ist eine Art Vanilleeis mit Schokoüberzug, gar nicht schlecht, aber es hat weder Stiel noch Waffel und ist daher für uns unhandlich. Für mich als Vieleisesser ist das Angebot in Moskau aber zu mager.

Dann haben wir uns alle am roten Platz wieder getroffen und dort unter der Kremlmauer gewissermaßen ein Picknick gemacht. Das hat sich ziemlich lang hingezogen und wird sicher zu meinen bleibenden Eindrücken von Moskau gehören: unter der Kremlmauer gegenüber der Basiliuskathedrale im Gras zu sitzen, gewissermaßen in der Einflugschneise, und Nutellabrote zu essen. Auf den ersten Blick wirkt Moskau wie eine ganz normale europäische Metropole, und man könnte denken, in Paris, London oder Berlin sieht es genauso aus, aber auf den zweiten Blick ist nicht nur die Basiliuskathedrale anders. Aus alter Zeit gibt es keine wirklich hohen Gebäude in Moskau, keinen Eiffelturm, keinen Big Ben. Und auch wenn der rote Platz selber grau ist, so ist rot doch die vorherschende Farbe der Gebäude drumherum. Dasselbe, scheint mir, gilt für die Leute. Auf den ersten Blick scheinen sie wie wir zu sein und zu denken, aber nach einer Weile habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Russen sehr konservativ, sehr traditionell sind. Das mag aber zum größten Teil an dem System, in dem sie groß geworden sind, und an ihrer jetzigen Situation liegen.

Die oben erwähnte Natascha ist übrigens Augenzeugenberichten zufolge schon einmal im ZDF gesehen worden, wo sie ein paar Minuten lang sang. Singen kann sie nämlich ganz ausgezeichnet (ich bin Ohrenzeuge einer a capella - Darbietung auf dem roten Platz), und dementsprechend waren auch die Kritiken. Außerdem hat sie ein Buch geschrieben, daß wohl veröffentlicht würde, bekäme ein gewisser russischer Verlag genug Papier, und geplant sei, es ins deutsche zu übersetzen und hier zu veröffentlichen, wenn es gut ankommt.

Gegen elf, als es dunkel wurde und die Sterne zu leuchten begannen, sowohl die am Himmelszelt als auch die roten Exemplare auf Kremlmauer und auf den Stalinburgen, mußten wir uns dann auf den Weg machen. Jegor führte uns noch auf die richtige Ausfallstraße (wobei er keinerlei Hemmungen hatte, uns auf für LKW verbotene Straßen zu leiten).



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Dieser Reisebericht ist im Juni/Juli 1992 im Mausnetz in der Gruppe FERNWEH veröffentlicht worden. Der Text ist unverändert, lediglich die Bilder sind neu hinzugekommen - das Mausnetz hat noch keine Bilder unterstützt. Der Bericht beschreibt Moskau im Jahre 1992. Vieles hat sich inzwischen verändert.

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