Flagge von Rußland

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(c) 1992 Oliver Bonten

Keine Raketen

Auf einer Karte hatte ich gesehen, daß nicht weit von Jegors Wohnung eine sowjetische Raumfahrtausstellung sein soll und den Wunsch geäußert, diese zu besuchen. Mittwoch morgen bin ich mit Christian, Jegor und Andrej zu diesem Zwecke losgezogen, während Alexander mit dem Zug nach Klin fuhr, einer kleinen Stadt auf dem Weg nach St. Petersburg (Leningrad, für Spätaufsteher) etwa 100 km von Moskau entfernt. Tschaikowski hatte dort eine Zeit lang gewohnt, Klin ist der Stammsitz der Romanows (letzte Zarenfamilie) und Alexander kannte dort Leute. Eigentlich galt sein Visum nicht für diese Strecke, aber das kümmerte wohl keinen. Lars und Erik wollten alleine die Stadt weiter erkunden. Das Wetter war leider nicht sehr gut.

Rakete, Allunionsausstellung

Die Ausstellung war wirklich nicht weit von Jegors Wohnung und wir gingen zu Fuß dort hin. Auf dem Weg kamen wir am Moskauer Fernsehturm vorbei, dem zweithöchsten Gebäude der Welt (in Toronto steht noch ein höherer Turm. In Polen gibt es angeblich eine Antenne, die noch höher ist, aber eine Antenne ist kein Gebäude). Bei gutem Wetter kann man den Turm von fast jedem Punkt Moskaus aus sehen, ergo kann man vom Turm aus fast ganz Moskau sehen. An diesem Tag jedoch sah man nur den Fuß des Turmes mit seinen dicken Verankerungen, darüber begann die Wolkendecke. Ein Besuch hätte sich also wahrscheinlich nicht gelohnt. Dann kamen wir zum ehemaligen Wohnsitz des Grafen Scheremetjew (nach dem ist auch der Flughafen Scheremetjewo benannt - nicht daß er ein Held des Sozialismus gewesen sei, aber die Gegend, in der der Flughafen steht, war früher Besitz des Grafen gewesen und hieß daher schon Scheremetjewo). Das Haus ist jetzt ein Museum und der Park öffentlich. Parks und andere Grünanlagen gibt es übrigens in Moskau reichlich. Der hier bekannteste ist vielleicht der Gorkij-Park, der noch in der Innenstadt liegt, aber nahe der Innenstadt gibt es noch mehr Parks, und innerhalb der Stadtgrenzen gibt es schon ausgewachsene Wälder als Naherholungsgebiete. Dieser Park ist nicht besonders groß. Typisch für die Moskauer Parks ist, daß darin Kinderkarussells stehen, allerdings außer Betrieb. Ein Autoscooter war auch vorhanden. Hinter dem Park kamen wir durch einen Seiteneingang zur Raumfahrtausstellung - und da begriff ich, daß die Raumfahrtausstellung nur ein Teil des Ganzen war, wir waren nämlich nirgendwo anders als auf der Allunionsausstellung. Das war eine Art Leistungsschau der Sowjetrepubliken, auf der sie ihre Errungenschaften und Produkte ausstellten, und der Anlage nach zu urteilen, muß es dort einmal regen Betrieb gegeben haben. Überall stehen Verkaufs- und Informationsbuden herum. Inzwischen beginnen die ehemaligen Republiken aber, ihre wertvollen Ausstellungsgegenstände wieder abzuziehen, und der Ausstellung geht ohnehin das Geld aus, was zum Beispiel dazu führte, daß in einem der Pavillons jetzt von einer deutschen Firma japanische und schwedische Autos verkauft werden. Ladas und Schigulis werden auch in einer Ecke verkauft, und an einer anderen Stelle verkauft die RFR alte Baumaschinen, die offenkundig einmal der roten Armee gehörten und eilig gelb umgespritzt wurden. In einem der Pavillons befindet sich die interne Börse der ehemaligen SU. Die ist noch in Betrieb, aber was dort gehandelt wird, weiß ich nicht. In der Nähe steht ein Teich, und über dem Teich thront eine Wostok-Rakete auf ihrer Startrampe. Daneben stehen zwei Verkehrsflugzeuge der Aeroflot. Die Triebwerke sind offenbar Attrappen, die Flugzeuge sind geschlossen, aber alles deutet darauf hin, daß sie gelegentlich auch offen sind. Hinter dem Teich steht die Raumfahrtausstellung, aber wer diesen Bericht bis jetzt aufmerksam gelesen hat, wird sich denken können, was uns dort erwartete - Remont. Nach Auskunft eines der Leute dort wird sie in ein paar Monaten wieder offen sein, oder in ein paar Jahren, oder nie. Tröstlich. Zur Allunionsausstellung gehört auch der Brunnen der Völkerfreundschaft, ein großer Springbrunnen, der 15 goldene Frauenfiguren darstellt. Jede dieser Frauen stellt eine typische Vertreterin einer der Sowjetrepubliken dar und trägt etwas, was typisch für ihre Republik sein soll. Die Georgierin etwa ist von Weinreben umrankt, die Weißrussin trägt eine Getreidegarbe. Für die RFR (also die RSFSR, wie es damals hieß) hätten sie aber eigentlich drei eigene Brunnen bauen müssen, um kein Volk zu vergessen. Diese Republik wird natürlich durch eine Russin vertreten.

Allunionsausstellung

Wir haben die Ausstellung durch das Haupttor verlassen. Ganz in der Nähe stand ein großes Hotel für westliche Geschäftsreisende, und einer von Stalins Monsterbauten war auch in der Nähe. Unter Stalin wurden in Moskau sieben Betonburgen errichtet, die teilweise wichtige Ministerien wie das Aussenministerium beherbergen, teilweise weniger wichtige Ämter, und ich glaube, eine dieser Burgen gehört zur Lomonossow-Universität. Alle diese Gebäude sind im selben Stil gebaut worden und werden von einer Turmspitze mit rotem Stern gekrönt, wie auch die Türme in der Kremlmauer. Von der Moskwabrücke beim roten Platz etwa kann man die Spitzen von drei oder vier dieser Bauwerke sehen, obwohl sie teilweise weit weg sind.

Stalinistischer Monsterbau

Die Lomonossow-Universität wäre auch unser nächstes Ziel für den Tag gewesen, denn sie liegt in den Lenin-Hügeln, von denen aus man einen sehr guten Überblick über die Stadt haben soll. Ich bezweifle auch nicht, daß man den bei gutem Wetter hat, aber wie schon erzählt war das Wetter nicht so besonders toll an dem Tag. Also sind wir gleich mit der Metro in die Stadt gefahren, um den Kreml zu besuchen. Der Kreml ist eine alte Festung im Zentrum Moskaus, ehemals die Stadtbefestigung, später die Burg des Großfürsten. Heute enthält der Kreml außer dem Sitz der russischen Regierung und dem Amtssitz Jelzins noch ehemalige Parteibauten, Kirchen und einige historische Gebäude. Der Kreml ist der Öffentlichkeit zugänglich, kostet aber ein paar Kopeken Eintritt. Ebenfalls Eintritt kosten die Kirchen im Kreml und zumindest das ehemalige Zeughaus, das ein Museum ist, und die Eintrittskarten dafür muß man schon vor dem Betreten des Kreml kaufen, wenn man einmal drin ist, bekommt man sie nicht mehr! Im Kreml haben wir uns eine der Kirchen näher angesehen. Der Grundriss einer russischen Kirche ist quadratisch und der Turm ist in der Mitte des Quadrats. Kirchen haben wenige Fenster. Es gibt einen quadratischen Innenraum, der von einem Gang umgeben ist. Die Wände sind meist mit Ikonentafeln bedeckt. Gottesdienste finden im Innenraum statt, wobei der Priester meistens hinter einer Ikonenwand verborgen ist. Die Gläubigen müssen stehen, und singen müssen sie auch selber, eine Orgel gibt es nicht. Von außen sind die Kirchen oft auch sehr bunt - nicht die im Kreml, die sind meist weiß mit goldenen Zwiebeln auf dem Turm, aber die Kirchen in der Stadt. Wer die Basiliuskathedrale gesehen hat, weiß was ich meine. Im Kreml steht auch eine riesige Kanone, der König der Kanonen, aber den russischen Namen habe ich vergessen. Die Kanonenkugeln hatten eine Masse von mehr als einer Tonne. Und den König der Glocken gab es dort, Zar Kolokol, eine riesige Glocke, aber die war irgendwann einmal aus dem Fenster gefallen und seitdem kaputt.

Zar Kolokol

Dann eröffnete Jegor uns, daß er Eintrittskarten für das Zeughaus hat. Dort werden nur viermal am Tag Besucher eingelassen, und man kann das Museum nur mit Führung besuchen. Wir haben uns schon einige Zeit vor Beginn der nächsten Führung angestellt. Man wurde beim Einlaß dann in kleine Gruppen aufgeteilt und zog hinter seinem Museumsführer her. Unser Museumsführer war eine ziemlich gut aussehende Frau. Leider war die Führung auf russisch - Jegor hatte das wohl bedacht, aber seine Fähigkeiten als Simultandolmetscher, insbesondere was historische Termini betraf, überschätzt. So haben wir leider nur die Hälfte von allem mitbekommen. Das Museum war aber sehr interessant, und an vielen Stellen wünschte ich mir, die Führung sei in einer mir verständlichen Sprache gewesen. Zu sehen gab es mittelalterliche russische Rüstungen, die Kleider Iwans des Schrecklichen (Iwan Grosny, nicht mit Iwan dem Großen zu verwechseln, den gab es glaub' ich nicht), Tatarenkrummschwerter, russische Säbel aus dem letzten Jahrhundert, Kutschen, Orden, Faberge-Eier (James Bond läßt grüßen), Kronen etc., und das alles viel geordneter und zusammenhängender als ich es jetzt hier wiedergegeben habe. Eigentlich nichts, was nicht auch in den Kulturmuseen anderer Völker ist, aber dieses Museum hatte meiner Ansicht nach außerordentlich viele außerordentlich schöne und interessante Stücke. Am Ausgang waren noch Bildbände über den Kreml zu kaufen, aber nur einen gab es über dieses Museum, und der war auf russisch und kostete mehrere tausend Rubel. Weniger interessante Bände gab es für weniger Geld und auf Deutsch oder Englisch.

Ich, im Kreml

Nach dem Museumsbesuch mußten wir uns beeilen, weil wir um fünf oder halb sechs eine Verabredung am Puschkinplatz hatten. Einige hatten Hunger, und so haben wir uns auf dem Arbat schnell noch eine Pizza für 50 Rubel 'reingezogen. Die Pizza war nach kanadischem Rezept, aber offenbar mit russischen Zutaten gebacken, und trotz hohen Fettgehalts nicht schlecht. Gegenüber dem McDonalds am Puschkinplatz habe ich mir zwei Flaschen Moskauer Wodka für 150 Rubel pro Flasche (1/2 Liter) gekauft. Kein schlechter Preis für das Zeug. Auf dem Puschkinplatz haben wir Alexander mit Jewgennij und Olga, seinen Bekannten aus Klin, getroffen. Die beiden sind Künstler. Als Lars und Erik dann endlich auch eintrafen (wir hatten schon gemutmaßt, die beiden seien ohne Stadtplan losmarschiert), haben wir uns zu einer Art Konservatorium begeben, wo an diesem Abend diverse Stücke für Klarinette, Klavier und irgendeine Geige dargeboten wurden. Natascha, eine Bekannte von Alexander, hat arrangiert, daß wir dort hinkonnten. Leider fand das ganze eine Stunde früher statt als wir dachten, und so kamen wir zu spät und haben den ersten Satz des ersten Stücks verpaßt. Außerdem hatte ich während des ersten Stücks gegen den Schlaf zu kämpfen. Lars auch - er hat verloren, zum allgemeinen Amusement. Die Musiker waren eigentlich nicht schlecht, nur der Klarinettist hat ziemlich viel Nebengeräusche erzeugt. Vielleicht war ja sein Klarinettenmundstück nicht mehr in Ordnung - Alexander, der Experte, meint aber, es habe an der Technik des Musikers gelegen.

Danach sind wir noch ein wenig durch Moskau gezogen und haben uns für eine Weile auf dem Puschkinplatz niedergelassen, wo Alexander uns die Bilder zeigte, die er von Jewgennij gekauft hatte. Die waren in eine Zeitung eingewickelt, die über die weiblichen Soldaten der roten Armee berichtete - vielleicht ist der Name "rote Armee" so entstanden wie der Name "roter Platz".



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Dieser Reisebericht ist im Juni/Juli 1992 im Mausnetz in der Gruppe FERNWEH veröffentlicht worden. Der Text ist unverändert, lediglich die Bilder sind neu hinzugekommen - das Mausnetz hat noch keine Bilder unterstützt. Der Bericht beschreibt Moskau im Jahre 1992. Vieles hat sich inzwischen verändert.

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