Flagge von Rußland

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(c) 1992 Oliver Bonten

Transit

"`Do you realize that this is the very path that goes through Mirkwood, and that if you let it, it may take you to the Lonely Mountain or even further and to worse places?' He used to say that on the path outside the front door at Bag End ..." - Frodo Baggins (über Bilbo) in "Lord of the Rings"

Für die Bewohner des Ruhrgebietes und des Niederrheins ist die Autobahn A2 eine alltägliche Erscheinung, auf der man zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Vergnügen fährt. Manche kennen sie auch als die Straße, die zur CeBit nach Hannover oder nach Rivendell, will sagen, nach Berlin führt. Wenigen ist dabei klar, daß diese Straße einen, wenn man ihr nur weit genug folgt, über Posen, Warschau, Brest, Minsk und Smolensk nach Moskau führt, und dann eventuell noch weiter nach Gorki (Nischni Nowgorod) und darüber hinaus. Ist man erst einmal auf der A2, so braucht man nur noch nach Osten zu fahren.

Als Pfadfinder brauchten wir uns also nicht mehr zu betätigen, wenn wir erst einmal durch das Autobahngewurstel im Industriegebiet Rhein-Main hindurch waren. Alexander hatte vor, über die hessische Autobahn A7 durch das Knüllgebirge zur A2 zu fahren. Das hielt ich mit derartig vollbeladenen LKWs für ungünstig, aber die Alternative wäre gewesen, mehrere hundert Kilometer DDR-Autobahn zu fahren, und das wollten die anderen nicht. Die Wagen quälten sich mit 30-40 km/h über die Berge, sie waren ja nicht sehr stark motorisiert (80 PS), und die Schmutzfänger von 17 setzten des öfteren funkensprühend auf, aber nach wenigen Stunden hatten wir die endlose Ebene vom Niederrhein bis Wladiwostok erreicht und waren dieser Probleme ledig. Von Berlin bis Frankfurt (Oder) wurde die Strecke fürchterlich - so schlechte Straßen gab es zwar in Rußland auch hin und wieder, aber immer nur für ein kurzes Stück. Von Berlin nach Frankfurt waren es immerhin mehr als 100 km.

Wir hatten geplant, gegen 7:00 morgens in Frankfurt zu sein, daraus wurde leider halb zehn. Ein gutes Stück vor Frankfurt teilte sich die Autobahn: die rechte Fahrbahn wurde zur LKW-Spur, wobei die LKWs sich später auf dem rechten Fahrstreifen anstellen und der linke Streifen für Polizei, Grenzfahrzeuge und bevorrechtigte Fahrzeuge (zu denen wir zu gehören hofften) freiblieb. Auf der linken Fahrbahn fuhren rechts die PKWs und links kam der Gegenverkehr aus Polen. Natürlich haben wir uns auf die LKW-Seite begeben. Nach einigen Kilometern wurden wir auf der PKW-Seite von einem Polizeilada in Volkspolizei-grün überholt, der uns per Megaphon aufforderte, bei der nächsten Möglichkeit anzuhalten. "Oh weh", dachte ich mir, "die haben wohl gemerkt, daß 17 ziemlich gut beladen ist.". Wir haben dann angehalten, und die beiden Polizisten haben uns erklärt, daß wir als Hilfstransport die PKW-Spur benutzen dürfen, am LKW-Übergang gibt es 20 Stunden Wartezeit, und sie hätten keine Lust, immer die Hilfstransporte aus der LKW-Schlange herauszufischen. Wir sollten auf der Stelle wenden und mit Blaulicht zurückfahren, um auf die PKW-Spur zu stoßen. Das haben wir gemacht, und die beiden haben uns die Spur einen Moment freigehalten, damit wir wechseln konnten. Kurz vor der Grenze stand noch eine Minol-Tankstelle, und da mußten wir noch einmal hin, weil wir ohne zu tanken durch Polen wollten und die kleinen Laster keine große Reichweite haben, nur etwa 500km. Dazu hatten wir noch fünf Kanister mit je 20 Litern Diesel mit - dachten wir zumindest. Der Haken war, von dieser Tankstelle aus kam man nur in der Gegenrichtung auf die Straße zurück und wir hätten etwa 15km zurück fahren müssen, um wenden zu können. Darauf hatten wir natürlich keine Lust, und so erkundeten Erik und Lars die Lage, um herauszufinden, wie man etwa über den Grünstreifen zurück auf die richtige Fahrbahn könnte, während Alexander telefonierte. Als er zurückkam, rief er uns zu, daß er die Lage erkundet, um herauszufinden, wie man etwa über den Grünstreifen zurück auf die richtige Fahrbahn könnte, und verschwand, bevor wir ihm sagen konnten, daß dies bereits geschehen war. Das hatte aber auch sein gutes, er befragte nämlich einen Polizisten auf einem Motorrad (MZ), das sicherlich unter der Leibesfülle seines Reiters ebenso überladen war wie 17, und der bedeutete uns, ihm zu folgen. Die Fahrt ging durch die Stadt Frankfurt, mit einigen Hindernissen, weil wir grün-gelbe Ampeln und grüne Rechtsabbiegerpfeile nicht gewohnt waren, zur Stadtbrücke, dem innerstädtischen Grenzübergang nach Słubice. Die hat sicher jeder schon einmal auf Bildern gesehen - das ist eine Brücke über die Oder, und die Grenzanlagen sind mit einem Glasdach überspannt. Dort hatten wir eine knappe Stunde Zeit, uns die hübsche Anlage anzuschauen (und zu beobachten, wie einem schimpfenden Russen mit seinem Schiguli die Einreise nach Polen verweigert wurde), und schon waren wir fertig. /* Dieser Teil der Reisebeschreibung sei als eine Lobeshymne an die Polizei von Frankfurt (Oder) verstanden. */

In unserer Planung hatten wir für die Formalitäten in Polen acht Stunden veranschlagt. Den Zeitgewinn feierten wir mit einem ausgiebigen Mittagessen kurz hinter der Grenze, das dank Alexanders Adleraugen in ein ausgiebiges Radwechseln ausartete - einer der Reifen hatte eine Beule und drohte zu platzen. Wir machten uns große Sorgen, wie das enden soll, wenn wir so früh schon das erste Rad wechseln müssen, denn wir hatten schließlich nur drei Ersatzräder, aber dieser sollte der einzige Radwechsel auf unserer Fahrt bleiben. Außerdem haben wir zu spät bemerkt, daß das Profil des Ersatzrades nicht zu seinem Zwilling (es war ein Hinterreifen) paßte.

Gegen zwei haben wir uns wieder auf den Weg gemacht. Erste größere Stadt am Wege war Posen (Poznań). Weil die Lastwagen nicht so furchtbar schnell sind, dauerte das alles entsetzlich lange. Ein beliebtes Verkehrsschild in Polen ist übrigens "Strefa Kontrola Radarowa", manchmal auch ohne "Strefa". Man braucht kein polnisch zu können, um das zu verstehen. Die Straßen in Polen sind ausgezeichnet, d.h., zumindest diese Straße ist es. Es ist zwar nur eine zweispurige Landstraße, aber fast durchgängig gibt es einen breiten Seitenstreifen. Der Straßenbelag ist durchweg Asphalt (kein Beton) und ohne Schlaglöcher und andere Widrigkeiten. Weil der Verkehr nicht so stark ist, ist diese Straße vollkommen ausreichend. Auf dem Seitenstreifen fahren manchmal Pferdefuhrwerke. Außerdem gibt es überall kleine Imbißstände und Straßenverkäufe von Zigaretten, Korbwaren und Erdbeeren - bevorzugt gegen Devisen, wenn man die Preisschilder liest. An einigen Stellen wurden Landhäuser zum Verkauf angeboten - auf deutsch und holländisch. Die Mühe eines polnischen Schildes hat sich der potentielle Verkäufer gar nicht gemacht. Posen liegt in dem Teil Polens, der bei der Neugründung 1919 (bekanntlich haben sich Preußen und Rußland nach den Napoleonischen Kriegen Polen unter den Nagel gerissen) von Preußen wieder abgetreten wurde. Die Stadt hat eine ganz gute Umgehungsstraße und hinter Posen ist die Straße sogar teilweise Autobahn. Weniger schön ist, daß in der Dämmerung und auch nach Einbruch der Dunkelheit Fuhrwerke, Fahrräder und sogar Autos mit völlig unzureichender oder gar ohne Beleuchtung herumfahren. Warschau kann man weiträumig über ein paar Dörfer umfahren, was wir auch getan haben, aber es hat sich gezeigt, daß diese Straßen wiederum sehr eng sind und es mit den LKWs vielleicht besser gewesen wäre, durch Warschau zu fahren, zumal es schon dunkel war. In einem der Dörfer haben wir gehalten, um unsere Reservekanister zu entleeren. Dabei stellte sich heraus, daß einer der Kanister nur halbvoll war (das hatte aber jemand schon gewußt) und einer der Tankrüssel nur auf zwei der restlichen Kanister paßt. Der Rüssel aus dem anderen Auto konnte dann mit etwas gutem Willen und einigem Kraftaufwand auf einen der anderen Kanister noch aufgesetzt werden, aber den fünften Kanister mußten wir erst umfüllen. Das gab natürlich ein fürchterliches Gematsche mit dem Diesel, aber viele polnische Parkplätze sehen so aus als sei das normal.

Bei der Umgehung Warschaus haben wir leider viel Zeit verloren. Unsere Planung war, gegen zwei Uhr nachts an der Grenze anzukommen, die unseren Informationen nach gegen sieben öffnet, aber das war nicht mehr zu schaffen. Kurz vor fünf waren wir nicht mehr weit vom Grenzort Terespol und mir fiel auf, daß auf einmal wieder Gegenverkehr kam. Der Grenzübergang Terespol-Brest ist eigentlich nur für PKWs, der für LKW lag etwa 30 km weiter nordwärts. Alexander erinnerte sich, daß er sich auf einer früheren Fahrt in Terespol verfahren hatte und mit Hilfe von Einheimischen auf eine Straße gelenkt wurde, die ein paar hundert Meter vor dem Grenzübergang in die Schlange einmündete. Die wollten wir auch jetzt wieder finden, und wunderbarerweise gelang es uns auch. Leider war es Kopfsteinpflaster mit vielen Schlaglöchern. Obwohl es erst gegen fünf war, war die Grenze offenbar schon offen (in Rußland war es schon sieben). Wir fuhren an der Schlange vorbei auf den Grenzübergang, wo uns ein Grenzposten, der nur polnisch zu sprechen schien, wieder zurückschicken wollte. Wir ließen uns aber nicht einschüchtern und blieben dreist stehen, bis ein anderer Beamter kam, der etwas Deutsch sprach, unser Begleitschreiben las und versprach, mit seiner Chefin zu reden. Im Endeffekt wurden wir dann aus Polen hinausgelassen, Alexander mußte vorher aber noch 10,000 Złoty eintauschen (etwa 13 Mark), von denen 1000 für irgendeneinen Ausreisestempel benötigt wurden. Was er mit den anderen 9000 machen sollte, weiß er bis heute nicht. Das dauerte eine knappe Stunde und dann wurden wir auf die Brücke gelassen. Am Anfang der Brücke wurden wir aber wieder von einem polnischen Grenzer angehalten, der uns mühselig zu verstehen gab, daß es in Rußland Probleme mit einer Maschine gebe. Möglicherweise meinte er damit das Telefon, mit dem er mit der russischen Seite telefonierte, die ihm immer sagten, wieviele Leute er über die Brücke lassen darf. Möglicherweise auch etwas anderes. Jedenfalls kam lange keine Verbindung zustande und der Mann versuchte uns klarzumachen, daß seine Chefin sich ja beide Beine ausreißt, damit die Hilfstransporte schnellstmöglich durchkommen, "aber andere Seite: <abfälligster Tonfall> Russen!". Jedenfalls durften wir bald weiterfahren. Auf der russischen Seite steht eine Anlage mit etwa sechs Gruben, über die die Autos fahren. Auf die leerste Grube wurden wir gelenkt, das Fahrzeug vor uns plötzlich abgefertigt und dann waren wir dran. Pässe und Visa wurden kontrolliert und Alexander verschwand für einige Zeit mit einem Beamten in einem Häuschen, um unsere Ladelisten durchzugehen. Dann bekamen wir ein Dokument mit auf den Weg und waren fertig. Das hat noch einmal mehr als eine Stunde gedauert. Leider war das Dokument sowohl auf russisch als auch falsch, so daß wir wegen ersterem letzteres nicht bemerkten. Das Dokument besagte nämlich, unsere Fahrzeuge seien verplombt, was technisch gar nicht geht. Mit den verplombten Fahrzeugen sollten wir dann in Moskau zum Zoll.

An der Grenze gab es auch Benzingutscheine für etwa DM 1.01 pro Liter Diesel - enttäuschend, denn man hatte uns gesagt, Diesel koste etwa 50 Pfennig - und Rubel zum Kurs 1:60. In der Hoffnung, Benzin im Land billiger zu bekommen, haben wir erst einmal nur das nötigste an Benzingutscheinen besorgt, um bis nach Minsk zu kommen, dort hätten wir im Bedarfsfalle neue bekommen. Jedenfalls waren wir erst einmal in Rußland.



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Dieser Reisebericht ist im Juni/Juli 1992 im Mausnetz in der Gruppe FERNWEH veröffentlicht worden. Der Text ist unverändert, lediglich die Bilder sind neu hinzugekommen - das Mausnetz hat noch keine Bilder unterstützt. Der Bericht beschreibt Moskau im Jahre 1992. Vieles hat sich inzwischen verändert.

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