Flagge von Rußland

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(c) 1992 Oliver Bonten

Laster lohnen doch

Eifrige Fernweh-Leser werden sich noch an meinen Reisebericht aus Schottland erinnern, in dem ich erwähnte, daß ich ein halbes Jahr an der University of Warwick in England verbracht habe. Dort habe ich Alexander kennengelernt, einen Mathematikstudenten aus Kaiserslautern, der nebenbei als freiwilliger Helfer beim roten Kreuz mitmacht und einige Kontakte nach Rußland hat, weil er einmal als Betreuer in einem Jugendcamp in der Gegend von Moskau war.

Kurz nach Karneval fragte Alexander mich per Email, ob ich nicht Lust hätte, über Ostern für eine Woche mit dem Auto nach Moskau zu fahren, er hat dort nämlich Freunde und die könnten einige Sachen (Nahrungsmittel, Seife etc.) gut gebrauchen. Lust hatte ich schon, aber wenig Zeit. Bis das aber definitiv feststand (daß ich keine Zeit habe), hat Alexander sich schon einmal erkundigt, wie das mit Visa, Zollbestimmungen etc. so ist. Für das Visum hätten wir eine schriftliche Einladung von seinem Freund in Moskau gebraucht, die wir sicher bekommen hätten, die aber viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Oder wir hätten ein Hotel buchen müssen. Für die Visaerteilung brauchen die Behörden auch eine gewisse Zeit. Das Ergebnis war, daß es am einfachsten geht, wenn man daraus eine Hilfssendung macht, dann wird das Visum schnell, unbürokratisch und kostenlos erteilt und man muß keine Unterkunft in Moskau nachweisen. In dem Fall hat man auch keine Probleme mit der Zollabfertigung. Rein theoretisch kann man eine Hilfssendung auch rein privat organisiseren und durchführen, aber ob man wirklich ein Auto voller Freßpakete für seine Freunde so deklariert bekommen hätte, weiß ich nicht. Weil es mit Ostern nichts wurde, haben wir die Aktion kurzerhand nach Pfingsten verlegt - zunächst sehr unverbindlich, denn es sah nicht danach aus, als würde daraus etwas. Kurz nach Ostern haben zwei weitere Freunde von Alexander zu erkennen gegeben, daß sie bei einer solchen Fahrt zur Verfügung stünden. Beide sind beim roten Kreuz, einer in Kaiserslautern, der andere in Bonn. Später, als schon etwas klarer umrissen war, was wir machen würden, hat sich noch ein Kaiserslauterner DRK-ler dazugemeldet, so daß wir insgesamt zu fünft waren: außer mir und Alexander waren da noch Lars und Erik aus Kaiserslautern und Christian aus Bonn.

Alexander hatte die Idee, offiziell unter der Flagge des roten Kreuzes zu fahren, mit Fahrzeugen des Katastrophenschutzes. Diese Autos haben die Bemalung vom roten Kreuz und auch Blaulicht und Martinshorn ("Rundumleuchte" und "Sondersignal"), stehen aber in der Regel in der Garage und warten auf eine Katastrophe. In diesem Fall transportieren sie Tragen, Zelte, Wasserkanister und solche Sachen (und wahrscheinlich auch freiwillige Helfer) zum Katastrophenort, aber so viele Katastrophen passieren nicht und für gewöhnlich werden die Autos ihr Leben lang 50km/Monat durch die Gegend kutschiert, weil es so vorgeschrieben ist. Sein Auge geworfen hatte er auf zwei Mercedes 508D, Transporter mit 4,6t zulässigem Gesamtgewicht. Mit diesen Lastwagen kann man dann schon eine Menge Hilfsgüter nach Moskau transportieren. Sie sind aber noch recht klein und fahren sich fast wie ein PKW. Das rote Kreuz kann auch offiziell Spendenaufrufe in die Zeitung setzen und man kann in dessen Namen Firmen o.ä. zu Spenden aufrufen. Einige maßgebliche Leute beim roten Kreuz in Kaiserslautern fanden die Idee gut, aber leider klappte es mit der Organisation nicht so ganz. Wir waren recht spät dran (weil keiner uns gesagt hat, welchen Antrag man an wen stellen muß), aber es zeigte sich, daß die Mainzer Universitätskliniken einige ausgemusterte Geräte für den Operationssaal hatten, die sie dem Bodkin-Krankenhaus in Moskau schenken wollten; diese waren recht wertvoll und danach bestand ein gewisser Druck auf die offiziellen Stellen, die nötigen Genehmigungen zu erteilen. Einige Firmen haben elastische Binden, Medikamente (Hustensaft) und Einwegspritzen gespendet, und Kinderkleidung und -spielzeug wurde gesammelt. Der Spendenaufruf dazu kam zwar spät und ungeschick gemacht, das war aber gut so, weil die beiden LKWs ohnehin voll beladen waren. Einen Spendenaufruf gab es auch über den AStA der Uni KL, der einige Geldspenden erbrachte. Die Organisationsphase war für Alexander eine sehr anstrengende Zeit. Ein besonderes Problem war, die Genehmigung für die Benutzung der Fahrzeuge zu bekommen. Diese gehören dem Bund. De facto wird die Genehmigung von der zuständigen Bezirksregierung erteilt, die hat schon zwei Wochen vor der Fahrt telefonisch zugestimmt, aber offiziell wird das schriftlich vom Bundesamt für Zivilschutz gemacht, und die haben ziemlich geschneckt. Zwei Tage vor der Abfahrt kam nach mehreren dringlichen Telefonaten die Genehmigung per Fax. Am Tag danach mußten die Fahrzeuge versichert werden: Fahrzeuge des Bundes sind ja grundsätzlich nicht versicherungspflichtig, aber der Bund will für eine solche Aktion nicht haften. Außerdem mußte ich noch Mitglied beim roten Kreuz werden, um für die Dauer der Fahrt Kranken-, Unfall- etc. -versichert zu sein.

In der Zwischenzeit waren die drei Kaiserslauterner schon ein bißchen mit den Wagen herumgefahren und haben diverse Hilfsgüter von Firmen und die Geräte aus Mainz eingesammelt. Als Christian und ich am Donnerstag abend (4.6.) in KL ankamen, waren die Autos schon beladen und gecheckt. Wegen der Kennzeichen (KL-8316 und KL-8317) haben wir sie 16 und 17 genannt. Es hat sich herausgestellt, daß 17 sehr gut beladen war, man könnte sogar sagen, bereits ohne Passagiere und persönliches Gepäck etwa eine halbe Tonne zuviel hatte. Deshalb sind die Fahrzeuge auch offiziell nie gewogen worden. Und deshalb ist 17 immer vorne gefahren. Gegen halb zehn abends wurden wir dann von einem großen Kommitee (einschließlich des Pressereferenten) verabschiedet und sind losgefahren.

Die Autos waren übrigens sehr gut für diese Fahrt geeignet: sie waren noch fast neu, technische Probleme waren also nicht zu erwarten, relativ leicht zu fahren, hatten allerdings eine ungewöhnliche und hakende Schaltung, aber sehr gute Sitze, insbesondere den Fahrersitz konnte man sich sehr gut einstellen, und ein Hubdach. In der Kabine war hinten eine Sitzbank für vier Personen, die lang genug war, um einen darauf bequem schlafen zu lassen. Es war allerdings unbequem, angeschnallt zu schlafen, was aber leider absolut notwendig war. Trotzdem war es uns dadurch möglich, Tag und Nacht zu fahren (die zweieinhalb Tage, die wir unterwegs waren, scheinen uns aber das absolute Limit dafür zu sein. Zur Unterhaltung des Fahrers bei schlafenden Beifahrern haben wir Radios eingebaut, das scheint bei den Autos nicht vorgesehen zu sein.

Außerdem haben wir natürlich genug Proviant für uns alle für die gesamte Fahrtdauer mitgenommen. Im Prinzip kann man sich zwar in Moskau wieder versorgen, aber man weiß nicht im voraus, was man wo bekommt (gegen Devisen alles) und was es kostet. Was wir noch hätten mitnehmen sollen war Coca Cola, Bier, Marlboro-Zigaretten, Feuerzeuge und allerlei Kleinigkeiten, aber dazu an anderer Stelle mehr. Jedenfalls wissen wir für die Zukunft bescheid.



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Dieser Reisebericht ist im Juni/Juli 1992 im Mausnetz in der Gruppe FERNWEH veröffentlicht worden. Der Text ist unverändert, lediglich die Bilder sind neu hinzugekommen - das Mausnetz hat noch keine Bilder unterstützt. Der Bericht beschreibt Moskau im Jahre 1992. Vieles hat sich inzwischen verändert.

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